Interview mit Recruitingprofi Viktoria Balensiefen zur Ansprache von männlichen und weiblichen Zielpersonen im Active Sourcing. Auch 2022 scheint es hier noch Unterscheide zu geben. Viktoria ist Inhaberin von Ideale Personalberatung. Die Recruiting-Boutique ist für den Mittelstand im DACH-Raum tätig mit Fokus auf FMCG (Food und Near Food) sowie in Positionen im Management, Marketing, Vertrieb, Produktion und HR.
Liebe Viktoria, Du bist seit über 15 Jahren Inhaberin einer Recruiting-Boutique. Was suchen die Kund:innen vor allem bei Dir?
Meine Kunden suchen bei mir Lösungen – genauer gesagt, sie wollen offene Stellen besetzen. Und das meistens ganz dringend. Oftmals haben sie es selbst vorher schon ein Weilchen versucht, z.B. über Stellenanzeigen – und jetzt läuft die Zeit davon.
Zusammen gehen wir dann noch mal tief in die Stellenanforderungen und starten den Research und die Ansprache. Der enge Kontakt mit allen Kandidatinnen und Kandidaten schafft eine hohe Verbindlichkeit und Vertrauen – und er sorgt dafür, dass wir Ghosting bisher zum Glück nicht erlebt haben.
Merkst du einen Unterschied, ob Du Männer oder Frauen wegen des nächsten Karriereschritts kontaktierst?
Leider ja. Ich finde es so bedauerlich, gerade wenn ich Positionen ab 130K EUR bzw. CHF 150k besetze. Wir achten im Research und in der Ansprache darauf, dass wir viele weibliche Kandidatinnen im Prozess haben. Die Ansprache gestalten wir teils genderspezifisch und achten auf ein zielgruppenorientiertes Wording.
Was genau erlebst Du in den Projekten?1. Männer reagieren stärker und schneller bei digitaler Ansprache.
Männer sind neugieriger und offener, sich Chancen anzuhören und einzuwerten.
Frauen reagieren oft erst ab der zweiten Erinnerung und dann zumeist mit einer Absage.
Im Prozess selbst sind Männer verbindlicher, flexibler und schneller. Sie haben zügig ihre CV parat, finden schneller Zeitslots für Austausch und Interviews. Bei Frauen scheitert es an Flexibilität und Priorität. Neben Job, Familie und gegebenenfalls Haushalt nehmen sie sich wenig Zeit für ihre berufliche Chancen. Sie brauchen Tage zur Aktualisierung eines veralteten CV und bieten mir Zeitfenster für den Austausch in 6 Tagen an. Das ist für uns eine Herausforderung.
Wenn Mann nicht interessiert ist, nennt er teils pro-aktiv oder auch auf Nachfrage einige Empfehlungen aus dem Netzwerk – meist ebenfalls Männer. Erst bei gezielter Nachfrage fällt ihnen gegebenenfalls noch eine Frau ein.
Wenn Frau nicht interessiert ist, muss ich fast betteln, wenn es um passende Empfehlungen aus dem Netzwerk geht. Auch fällt es den Frauen dann schwer, passende Personen, geschweige denn Frauen zu nennen. Offensichtlich pflegen sie ihre professionellen Netzwerke nicht so sehr.
Von Christine Lagarde heisst es, dass sie immer eine Liste mit den Namen kompetenter Frauen dabei hätte und diese zücke, wenn mal wieder gejammert wird, dass es keine passende weibliche Kandidatin für einen Posten gäbe.
Das fände ich grossartig, wenn alle so eine Liste hätten. Und zwar sowohl Frauen als auch Männer! Es hilft ja nicht nur uns Personalberatern, sondern vor allem auch den Personen, die dann empfohlen werden. Denn diese gehen mit einem Vertrauens-Vorschuss in das Gespräch, und das ist doch wunderbar.
Die Autorin Barbara Bierach hatte 2002 ihr Buch «Das dämliche Geschlecht. Warum es kaum Frauen im Management gibt» verfasst. Hat sich also Deiner Meinung nach wenig in den letzten 20 Jahren verändert?
Ich kenne das Buch nicht und somit auch nicht die Thesen. Ich würde mir jedoch wünschen, dass der Titel heute antiquarisch klingen würde. Im Schnitt ist es leider heute oft auch noch genauso.
Woran liegt es?
Ich meine, nicht nur an politischen oder fiskalischen Rahmenbedingungen.
Meine Erfahrung ist, dass Frauen auch heute noch zu selten die volle Verantwortung für sich, ihre finanzielle Sicherheit und ihre berufliche Entwicklung übernehmen. Hiervon hält sie keiner ab, ausser sie selbst.
Wie genau äussert sich das?
Frauen planen die berufliche Weiterentwicklung weniger stringent, bauen zu wenige berufliche Netzwerke auf und verhandeln Gehälter und Konditionen weniger intensiv und weniger professionell. Gerade in Settings mit Familie/Kindern übernehmen die meisten selbstverständlich den kompletten Mental Load alleine, und de-priorisieren ihren Beruf oder üben diesen in Teilzeit mit 40 % aus.
Was sind also Deine 3 Tipps speziell für Frauen, wenn der:die Headhunterin:in anruft?
Das wären drei eigentlich sehr einfache Dinge, die vor allem mit der Einstellung und Haltung einhergehen.
Tipp 1:
Flexibilität und Offenheit für Angebote. Oder anders gesagt «der Appetit kommt beim Essen». Auch wenn Frau eine gute Position hat, lohnt es oft, sich die Angebote anzuschauen und sich damit zu befassen. Durch die Gespräche erkennt man Trends, Entwicklungsmöglichkeiten und den eigenen Marktwert. Das bietet Futter für die nächsten Entwicklungs- und Gehaltsgespräche. Weiter ist ja auch ein süsser Booster fürs Ego. Und es zeigt interessante Möglichkeiten auf, die einem das Leben unverhofft als optionales Geschenk vor die Füße legt.
Anhand der Angebote kann frau immer noch entscheiden, ob die aktuelle Position besser ist – oder ob sie sich in einem anderen Unternehmen verbessern will.
Tipp 2:
Netzwerken und Sichtbarkeit. Wer kein oder nur ein rudimentäres bzw. veraltetes Profil auf LinkedIn, Viadeo oder Xing führt und zudem keine Netzwerke in der Branche pflegt, wird kaum gesehen und angesprochen.
Tipp 3:
Dokumente. Idealerweise sind alle Unterlagen wie Lebenslauf und Zeugnisse vollständig, aktuell und griffbereit. Bei Führungs-Positionen erwarte ich zudem Referenzgeber und es wäre also ideal, wenn man eine Liste von potenziellen Referenzgebern parat hat.
Hierzu hast Du auch ein Buch verfasst.
Genau. Damit Kandidatinnen und Kandidaten wissen, wie Personalberater arbeiten, habe ich 2013 den Ratgeber »Karriereturbo Headhunter – Mit dem Personalberater auf Kurs Traumjob» im Beck Verlag veröffentlicht.
Danke für das spannende Interview. Es wird am 8. März 2023, dem internationalen Weltfrauentag, erscheinen.
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